orte. Schweizer Literaturzeitschrift.Nr. 137 (11/ 2004)

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Gewöhnung ans Nichtankommen

Barbara Traber

Das Projekt, an dem Franz Dodel seit bald drei Jahren schreibt und das er auf seiner Homepage weiterführt , nämlich ein Endlos-Haiku zu verfassen, ist ehrgeizig und verrückt, aber auch verrückt schön und löst Bewunderung und Staunen aus, Die Arbeit, die im Entstehen begriffen ist - das Schreibe und Lesen eines nicht endenden Gedichts -, nennt er "Untrost Block", "eine Art Dokumentation der Auflehnung gegen die Einvernahme der Sprache durch dieses Wortfeld, durch tröstliche Wortfelder überhaupt".

Unter dem Titel "Nicht bei Trost – a never ending Haiku" liegen jetzt drei Teile des bisher verfassten Textes zu je 2000 Zeilen auch in gedruckter Form vor: ein berückend gestaltetes, bibliophiles Werk (einmalige, signierte und nummerierte Auflage von 500 Exemplaren!) mit Illustrationen von Rudolf Steiner; zur Orientierung des Lesers/der Leserin stehen auf der linken Seite des Haiku-Strangs ausführliche Anmerkungen und kleine Abbildungen von Gemälden und Fotografien, auf die im Text Bezug genommen wird.

Zwar ist der Text des Haiku-Kettengedichts (5 - 7 - 5 -7 - ... Silben) angelegt, doch inhaltlich knüpft Dodel nicht an die literarische Tradition Japans an. Er nimmt nach jeweils 500 Zeilen leitmotivisch Bezug auf Marcel Prousts "A la recherche du temps perdu".

Franz Dodel, 1949 in Bern geboren, lebt in Boll-Sinneringen. Er hat u.a. Theologie studiert und ist heute Fachreferent für Theologie und Religion in der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern und freier Schriftsteller. Letztes Jahr erhielt er den 3. Heinz-Weder-Preis für Lyrik.

Als wärs ein Heilmittel – gut möglich, dass die Lektüre heilend wirken kann -, liegt den drei Textteilen ein "Beipackzettel" in Form einer poetischen "Leseanleitung" bei: "Die Lesenden sind aufgefordert, das Vorliegende weiter zu bearbeiten, indem sie einzelne Teilstücke anstreichen (im Internet, www.franzdodel.ch, markieren und ausdrucken), Themenbereiche mit Untertiteln und Randbemerkungen versehen und Textfragmente vielleicht sogar neu ordnen, verbinden und ergänzen. Es ist nicht so - was im Text selbst auch thematisiert wird - dass ein Plan vorläge für eine bestimmte Gdankenfolge, und diese dann 'verarbeitet' würde. Überhaupt kann ich nicht oft genug betonen, dass hier nichts verarbeitet, umgesetzt, in Sprache gekleidet wird. Der Faden spinnt sich von selbst; ich schreibe etwa auf, und das hat mit mir nicht allzu viel, wenn überhaupt etwas zu tun. Vielleicht ist das nachträglich der Fall. Man wird sehen. Am allerwenigsten wird hier etwas erklärt. Es geht um ein sorgfältiges Umschichten von Arten des Staunens."

Wer Lust auf ein seltenes, ungemein anregendes Lese-Abenteuer hat, wage es, sich – ohne ein Ziel vor Augen zu haben – vertrauensvoll vom Fluss der Sprache mitreissen zu lassen, denn das Wort Trost hängt, erfahren wir von Dodel, etymologisch auch mit den Wörtern (ver)trauen und treu zusammen.

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