Kirchenbote für den Kanton Zürich (1/ 2006)

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Tröstliches im Endlosgedicht

Sabine Schüpbach

«Sind Sie nicht ganz bei Trost?» Diese Frage beleidigt Franz Dodel, Schriftsteller aus dem bernischen Boll, nicht. Vielleicht hat er es sogar darauf angelegt. Unter dem Titel «Nicht bei Trost» nämlich schreibt Dodel an einem Gedicht. Und zwar an einem Endlos-Gedicht. Seit über drei Jahren. Jeden Tag setzt sich der 56-Jährige, der halbtags als Fachreferent für Theologie und Ethnologie an der Berner Universitätsbibliothek arbeitet, an seinen Schreibtisch, um sein mittlerweile über 9000 Verse umfassendes Lyrik-Projekt fortzuschreiben.

Das Wort «Trost» in dessen Titel ist dabei mehr als Koketterie. «Ich misstraue den grossen Trosterzählungen der Religionen und bin in diesem Sinn tatsächlich ‹nicht bei Trost›», erklärt der Autor. Dodel hat sich intensiv mit Religion befasst: Katholisch aufgewachsen, fühlte er sich zunächst zur Orthodoxie hingezogen und studierte später als Zweitausbildung reformierte und christkatholische Theologie. Seine Doktorarbeit schrieb er über das «Sitzen» bei den Wüstenvätern, den ersten Mönchen des Christentums, und verband damit wissenschaftliches Interesse mit der eigenen Zen-Praxis.

«Heute ist es nicht mehr möglich, durch das Weltdeutungsmodell einer einzigen Religion getröstet zu sein», ist Dodel überzeugt. Das treffe sowohl für ihn persönlich zu wie ganz allgemein für unsere Zeit. «Wir müssen es aushalten, im heutigen religiösen und kulturellen Pluralismus Trost nicht mehr so leicht zur Verfügung zu haben.» Das heisst aber nicht, dass der Schriftsteller gänzlich auf Tröstliches verzichtet. Vielmehr fällt es ihm immer wieder zu: «In meinem Gedicht sammle ich den Trost, den ich täglich in der Natur oder mit Menschen erfahre, und verflechte ihn mit weiterem Gesehenem und Gelesenem.»

Ein Leichtes ist das für ihn nicht. Dodels Gedicht, das im Internet unter franzdodel.ch vollständig zugänglich ist und in der «Edition Haus am Gern» teilweise publiziert wurde, orientiert sich am Versmass des japanischen Haiku. Weil dieses fürs Deutsche sperrig ist, «knorzt» Dodel täglich. Dennoch schafft er tröstlich schöne Verse wie: «Zum Stillstand kommen nah bei den Pflanzen (also am Sprachrand) wo die Übergänge abschweifen und aus den Farben der Blüten Duft wird und wo die Wurzeln ihren lautlosen Vortrieb mit dem Erdreich besprechen.»

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